Rede des Vorsitzenden der CDU-Landtagsfraktion, Dirk Toepffer, zu TOP 33 „Haushaltsberatungen 2020 – Allgemeinpolitische Debatte“

-Es gilt das gesprochene Wort!-

Sehr geehrte Frau Präsidentin,

sehr geehrte Damen und Herren,

an Dankesworten, denen ich mich gerne anschließe, haben wir heute schon einige gehört, und daher bitte ich um Verständnis, wenn ich mich vor diesem Hintergrund diesbezüglich etwas knapper fasse. Meinem Dank, insbesondere gegenüber unserem haushaltspolitischen Sprecher Ulf Thiele, kann ich ohnehin am besten Ausdruck verleihen, indem ich ihm möglichst viel Redezeit überlasse –  und so soll das dann auch geschehen.

Zu den betragsmäßigen Dimensionen des Landeshaushalts 2020 haben wir schon einiges gehört. In den nächsten Tagen werden wir uns mit einzelnen Vorhaben und Politikbereichen auch noch im Detail beschäftigen.

So wenig ich das eine wiederholen möchte, so wenig möchte ich dem anderen vorgreifen. Ich will mich an dieser Stelle vielmehr auf einige grundsätzliche Betrachtungen konzentrieren. Auf die Geschichte, die dieser Haushalt erzählt, auf den politischen Willen, den er dokumentiert, und auf den „roten Faden“, der ihn durchzieht – auch wenn wir aus vorformulierten Pressemitteilungen der Opposition schon während der Vorstellung der Politischen Liste erfahren haben, dass es all das gar nicht geben soll.

Die Politische Liste zum Haushaltsplanentwurf 2020 haben wir thematisch in vier Bereiche gegliedert:

  • Sicher in Niedersachsen,
  • Klimafreundlich in Niedersachsen,
  • Miteinander in Niedersachsen und
  • Innovation in Niedersachsen.

Das Leitmotiv, das diese vier Bereiche auf ganz unterschiedliche Weise aufgreift, ist eine der kritischsten Aufgaben, denen sich Politik heute stellen muss, und deshalb ist das zentrale Anliegen des Haushalts 2020

„gesellschaftlicher Zusammenhalt“.

Wir erleben seit Jahren in nahezu allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens zunehmende Polarisierungen. Brüche und Verwerfungen treten an Stellen zutage, an denen wir sie ganz grundsätzlich und mindestens in dieser Ausprägung noch vor kurzem nicht erwartet hätten.

Individualisierung, in unseren Tagen vor allem auch technik- und medial getrieben, wird als Phänomen der Moderne seit langem beobachtet, beschrieben und vor allem problematisiert.

In der Tat sind Lagerbildung, gesellschaftliche Blasen, Ermangelung an Austausch, Korrektivlosigkeit, moralische Überlegenheit und das angenommene Recht auf Widerspruchsfreiheit Ausdruck des Individualismus unserer Zeit.

Der Zeitgeist wird somit durch einen mitunter religiös anmutenden Alleinanspruch auf Wahrheit und durch angeblich nicht verhandelbare politische Lösungen zum Ausdruck gebracht. Stets ist es 5 nach 12. Und so werden uns nur das sofortige Ende des Verbrennungsmotors und nur der sofortige Aufnahmestopp von Geflüchteten retten.

Das sind natürlich nur zwei von vielen abstrusen und radikalen Forderungen, wie wir sie in diesen Tagen wieder vernehmen können.

Untergangsszenarien von „Klimakatastrophe“ bis „Bevölkerungsaustausch“ haben dabei eines gemeinsam: Wer die begründeten wie unbegründeten Ängste der Menschen für den eigenen kurzfristigen politischen Erfolg auszunutzen versucht, wer einfache Lösungen auf komplexe Fragen verspricht, wer meint, durch Ausgrenzung Andersdenkender die eigenen Reihen schließen zu können, oder wer die untere Mittelschicht für das schlechte Gewissen einer plötzlich ökologisch orientierten Oberschicht bezahlen lassen will, der hat eines bereits verloren: Den Anspruch, die gesamte Bevölkerung vertreten zu wollen und vertreten zu können.

Damit Sie mich nicht falsch verstehen: Klientel- und Partikularinteressen zu vertreten ist per se kein Makel. Im Gegenteil: Das gehört zu unserer pluralistischen Gesellschaft, die wir alle schätzen und erhalten wollen. Und über Jahrzehnte waren Parteien, die diese Interessen vertreten haben, ein wichtiges Korrektiv der beiden großen Volksparteien. Sei es beim Umwelt- und Naturschutz, den Bürgerrechten oder dem Mut, hin und wieder den Gesetzen des Marktes stärker zu vertrauen.

Seither hat sich viel verändert. Die Welt, wie wir sie lange kannten, scheint aus den Fugen geraten. Eine große Demokratie wählt einen offensichtlichen Lügner zu ihrem Präsidenten. Eine seit Jahrhunderten bedeutende Handelsnation verlässt die Europäische Union. Die Weltgemeinschaft findet keinen gemeinsamen Weg zur Reduzierung des CO2-Ausstoßes. Konflikte und Bürgerkriege in unserem unmittelbaren geopolitischen Umfeld führen zu lange nicht mehr gesehenen Fluchtbewegungen direkt vor unserer Haustür. Und ein Ende ist nicht absehbar.

Angesichts der Komplexität dieser weltweiten Herausforderungen kann es keine einfachen Lösungen geben.

Und doch erwecken viele im öffentlichen Diskurs den Eindruck, nur er oder sie allein besäße die Deutungshoheit über den Klimaschutz, über Fragen der Migration, über die einzig richtigen Zukunftsinvestitionen. Doch, liebe Kritikerinnen und Kritiker von Grünen, AfD und auch FDP: Die Welt besteht nicht nur aus diesen drei Überschriften. Es sind wichtige Überschriften, die unseren Diskurs bestimmen, und Sie können sich daher sicher sein, dass sich die Koalition in Niedersachsen ihrer annimmt.

Aber unser Mittel ist nicht die Konfrontation, ist nicht das Spiel mit den Ängsten der Menschen, ob ihr Arbeitsplatz morgen noch sicher ist oder ob der alle Grenzwerte einhaltende neue Diesel schon nächstes Jahr verschrottet werden muss. Unser Ziel ist nicht die soziale und politische Spaltung dieses Landes, sondern ein neuer Zusammenhalt vor dem Hintergrund komplexer und weltweiter Verwerfungen. Verwerfungen, von denen die Menschen ganz genau wissen, dass sie sich ihnen werden stellen müssen. Wir wollen trotzdem nicht wie andere mit dem Kopf durch die Wand, sondern mit Köpfchen zum Erfolg.

Ihnen hingegen fehlt der Anspruch, der Komplexität dieser Fragen gerecht zu werden und über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen.

Ganz bewusst sprechen Sie nur Ihre mehr oder weniger große Klientel und deren Bedürfnisse an, spielen die unterschiedlichen berechtigten Interessen in der Bevölkerung gegeneinander aus und tragen so dazu bei, die Lager- und Blasenbildung noch weiter zu befeuern.

Auto- gegen Fahrradfahrer. Verbraucher gegen Landwirte. Neue frische Luft für die Großstädter, aber Windkraftanlagen vor der Haustür für die Landbevölkerung: Es geht Ihnen eben nicht um den Kompromiss. Es geht Ihnen eben nicht um den Interessenausgleich. Es geht Ihnen eben nicht um das Land und seine Bürgerinnen und Bürger, sondern um die Durchsetzung partikularer Interessen zur Befriedigung der eigenen Wählerschaft in Stadt oder Land, in Ost oder West.

Das führt im Übrigen dann dazu, dass gar nicht mehr so genau auf das geschaut wird, was diejenigen, die man kritisiert, eigentlich vorhaben und was ihre Motive sind. Und weil auch Sie, lieber Herr Grascha, gerade einmal wenige Minuten benötigt haben, Ihre übliche Replik auf die politische Liste – „keine erkennbare Strategie“, „Sammelsurium von Kleinstmaßnahmen“ und so weiter – abzusondern, sage ich Ihnen ganz deutlich: Es ist keine seriöse Politik, mehrseitige Vorschläge der Regierungsfraktionen ungelesen abzukanzeln, nicht einmal für eine Oppositionsfraktion!

Sie wollen nämlich mal wieder alles auf einmal: mehr Schuldenabbau und mehr Investitionen bei gleichzeitiger Senkung der Steuern. Wie das funktionieren soll, erklären Sie natürlich nicht, und da unterscheiden Sie sich leider nicht von den niedersächsischen Grünen.

Liebe Frau Piel,

Ihnen sind unsere Ziele und Maßnahmen zur Reduzierung von klimaschädlichen Emissionen natürlich nicht genug. Vermutlich gibt es kein Prozentziel und kein Jahresziel und keine Investitionssumme, die Ihnen in Ihrer Oppositionsrolle genug wäre. Wie auch? Mit Ihrer thematischen Selbstbeschränkung auf das Thema Klimaschutz können Sie gar nicht anders, als jeden Beschluss und jede Maßnahme – wie ambitioniert sie auch sein mögen – abzukanzeln. Damit Ihnen die frisch hinzugewonnenen Wählerinnen und Wähler nicht gleich wieder von der Fahne gehen.

Und dabei tut Ihre Partei so, als habe sie den Alleinanspruch auf den Klima- und Umweltschutz.

Liebe Frau Piel, nur zur Erinnerung: Die CDU hat mit Werner Remmers und Klaus Töpfer schon Seen und Flüsse gerettet und sogar eine CO2-Bepreisung gefordert, da hat Ihre Partei noch mit Turnschuhen den Parlamentsbetrieb in Hessen gestört!

Das wollen Sie jetzt nicht hören, aber ich kann das auch belegen: Große Anfrage der Fraktionen der CDU und der FDP vom 26. Mai 1989, Drucksache 4309 der 11. Wahlperiode. Folgende Maßnahmen zur Eindämmung des Treibhauseffektes schlägt der CDU-Umweltminister Dr. Remmers vor, und das ist nur ein Auszug: Sicherung des Waldes, FCKW-Besteuerung, Verzicht auf energiebezogene Dienstleistungen, Schaffung eines europäischen Umweltamtes, Einberufung einer Weltklimakonferenz und zuletzt – natürlich, möchte ich sagen! – Einführung einer CO2-Abgabe als Lenkungsinstrument.

Liebe Frau Piel, das war CDU-Politik hier in Niedersachsen schon Ende der 80er Jahre. Dann kamen die 90er und mit ihnen die Regierungen von SPD und – Sie ahnen es schon – den Grünen. Sie hätten insgesamt acht Jahre Zeit gehabt, an diese richtige Politik anzuknüpfen.

Warum haben Sie das nicht getan, liebe Frau Piel? Wo waren Sie, als Sie selbst Regierungsverantwortung getragen haben?

CDU und SPD tragen diese Verantwortung, und wir tragen sie in dem Bewusstsein, dass wir Politik für alle Menschen in diesem Land machen müssen. Und die registrieren ganz genau, wer die Lasten zu tragen hätte, würde die reine Lehre der grünen Klimapolitik zur Politik unseres Landes. Denn für Ihre Politik sollen vor allem diejenigen bezahlen, denen Sie ihre Lebensgrundlage und Arbeitsplätze nehmen wollen.

Das mag für denjenigen kein Problem sein, der sich fragt, wie er die letzten 100 Meter mit dem E-Scooter von der U-Bahnstation Aegi zum Büro kommt. Aber schon für den Pendler aus Barsinghausen oder Springe ist das ein Problem, und von den Menschen im Emsland oder Lüchow-Dannenberg haben wir dann noch gar nicht gesprochen.

Liebe Frau Piel, was Sie völlig außer Acht lassen, das ist die zunehmende soziale Spaltung, die durch den Klimawandel ohnehin schon eine weitere Zuspitzung erfährt. Schauen Sie sich den aktuellen Armutsbericht an! Was wird denn passieren, wenn wir überhastet und ohne einen zumindest europäischen Rahmen ganze Industriezweige beerdigen? Was machen Sie beispielsweise mit den Menschen, die nach dem Mauerfall und den leidvollen Erfahrungen mit dem System-Wechsel in den 90er-Jahren nun den nächsten Strukturwandel durchleben sollen?

Darauf haben Sie keine Antwort außer Geld, Geld, Geld – Geld, über das Sie gar nicht mehr verfügen, wenn Sie erst die Automobilwirtschaft und dann das Steueraufkommen zu Grabe getragen haben. Denn die Steuereinnahmen, die Sie für ihre gigantischen Umverteilungen und Subventionierungen brauchen, gäbe es doch gar nicht, wenn grüne Politik 1:1 umgesetzt würde!

Unser Wohlstand fußt auf einer starken und robusten Industrie einerseits und der positiven regulatorischen Wirkung der Sozialen Marktwirtschaft anderseits. Die Regierungskoalition von SPD und CDU möchte diesen Wohlstand erhalten. Und wir möchten das bewahren, was unser Land über Jahrzehnte ausgemacht hat: den gesellschaftlichen Zusammenhalt, die Stärke, über den eigenen Schatten hinauszuspringen und jetzt das anzuschieben, was dringend erforderlich ist ohne diejenigen zu überfordern, die den Laden am Laufen halten.

Menschen, die jeden Tag viele Kilometer zu Ihrem Arbeitsplatz fahren müssen und nicht wissen, ob ihr Job bei VW, bei Conti, in der Land- und Ernährungswirtschaft morgen noch existiert.

Menschen, die sich zu Recht fragen, wie wichtig sie der Politik noch sind, wenn ihre Dörfer aussterben, keine vernünftige Netzabdeckung vorhanden ist und auch der letzte Bäcker und der letzte Arzt und letzte Landwirt aufgegeben hat.

Menschen, die das Gefühl haben, einsam in dieser globalisierten Welt zu sein, und für die Kultur- und Sportangebote noch einen echten Wert haben. Diese Menschen sind unser „roter Faden“, sie sind die Richtschnur der Politik von CDU und SPD in Niedersachsen!

Volkspartei zu sein bedeutet vor allem, Interessen zusammenzuführen, Kompromisse zu schließen und die gesamte Bevölkerung auf einem langen Weg mitzunehmen.

CDU und SPD in Niedersachsen haben diesen Anspruch. Diese Koalition sucht nicht das Trennende. Wir in Niedersachsen suchen das Verbindende, wir suchen den gesellschaftlichen Konsens, wenn es um die Bewältigung der drängenden Herausforderungen geht.

Mit dem vorgelegten Haushalt gehen wir im Rahmen der Möglichkeiten, die ein Bundesland hat, genau diesen Weg.

Dabei täuschen wir nicht wie andere vor, es gäbe den einen Haushaltsansatz, der Anspruch, Richtung und Lösung in einem ist.

In einer komplexen und immer komplizierter werdenden Welt wollen wir vielen Menschen wieder mehr Orientierung geben. Man kann das abschätzig ein „Sammelsurium von Kleinstmaßnahmen“ nennen. Man kann aber auch erkennen, dass die Herausforderungen, vor denen wir stehen, so vielschichtig und weitreichend sind, dass wohl selbst die unsichtbare Hand des Marktes keine klare Linie ziehen kann, lieber Kollege Grascha.

Die Menschen in diesem Land stehen vor ganz unterschiedlichen Problemen, von Pflege und steigenden Mieten über Mobilität und LTE-Versorgung bis hin zum Schutz unserer Umwelt und natürlichen Lebensgrundlagen. Zugleich vermissen viele unserer Bürgerinnen und Bürger einen Staat, der die Herausforderungen nicht nur technokratisch angeht, sondern Zuversicht vermittelt und Orientierung in unruhigen Zeiten gibt.

Und deshalb werden wir mit dem kommenden Haushalt nicht nur kräftig in unsere Infrastruktur und die Digitalisierung, in Bildung, Pflege und in den Schutz der Umwelt und unserer Lebensgrundlagen investieren.

Wir investieren darüber hinaus in die Attraktivität ländlicher Räume, in regionale Kultur-, Sozial-, und Wissenschaftseinrichtungen und in einen ÖPNV auch außerhalb von Ballungszentren, weil wir gleichwertige Lebensverhältnisse in Stadt und Land wollen, und eben nicht nur lebenswerte Städte.

Wir investieren darüber hinaus in neue Innovationen und Technologien, in E-Mobilität, Wasserstoff und Smart Farming, weil CDU und SPD eben nicht wie andere nur verbieten, sondern echte Anreize für den Umstieg schaffen wollen.

Wir unterstützen darüber hinaus die familiengeführten Landwirtschaftsbetriebe massiv bei der erforderlichen aber existenzbedrohenden Umsetzung der neuen umweltrechtlichen Vorgaben, weil wir eben nicht nur gutes Trinkwasser, sondern auch eine innovative und wettbewerbsfähige Landwirtschaft wollen.

Und wir stärken darüber hinaus unseren Rechtsstaat mit zusätzlichen Staatsanwälten, Richtern und Justizvollzugsbeamten, mit einer besseren Ausstattung unserer Polizei, mehr IT-Sicherheit und einem besseren Opferschutz, weil gesellschaftlicher Zusammenhalt nur funktionieren kann, wenn wir diejenigen sanktionieren, die sich nicht an unsere Regeln halten.

Mit dem Haushalt 2020 kümmern wir uns um die dringenden Anliegen unserer Zeit – und das ist mir besonders wichtig – mit einem erneut strukturell ausgeglichenen Haushalt, ohne Neuverschuldung und unter voller Wirkung der Schuldenbremse des Grundgesetzes.

CDU und SPD führen Niedersachsen zusammen – und wir führen Niedersachsen zusammen. Mit diesem Anspruch stellen wir uns den Herausforderungen, die vor uns und der Gesellschaft stehen.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit!

veröffentlicht am 17.Dez.2019