Rede des Vorsitzenden der CDU-Landtagsfraktion, Dirk Toepffer, zu TOP 3 „Terrorangriff in Halle – Antisemitismus und allen weiteren Formen von Menschenverachtung entschieden entgegentreten!“

– Es gilt das gesprochene Wort. –

Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein. Diesen Satz zu sagen, ist zu keiner Zeit einfach gewesen. Und seit dem 9. Oktober 2019 ist es wieder etwas schwerer. Ich selbst bin es noch immer. Stolz war ich niemals auf meine Herkunft. Zu dieser Herkunft habe ich nicht beigetragen. Stolz war und bin ich auf das, was die Gemeinschaft der Deutschen ausmacht, was diese Gemeinschaft erreicht hat und auch immer wieder erreicht. Aber dieser Stolz hat wieder einmal Schaden genommen. Schweren Schaden, um es ganz genau zu sagen.

Es war der dunkelste Zeitabschnitt der deutschen Geschichte, die Zeit in den Jahren 1933, vielleicht etwas früher, bis in den Mai 1945, der es vielen Deutschen zu recht schwer, vielen nachvollziehbar unmöglich gemacht hat, Stolz für das eigene Land zu empfinden. Mir ging und geht es ähnlich. Aber ich war tatsächlich auch ein wenig stolz darauf, dass es, so dachte ich, gelungen ist, aus dieser Zeit, dieser deutschen Katastrophe, die richtigen Lehren zu ziehen.

Ich war und bin stolz darauf, dass wir uns als Deutsche zu unserer Schuld kollektiv bekennen. Und ich war und bin stolz darauf, dass wir uns kollektiv verpflichtet haben, eine Wiederholung der Shoa zu verhindern. Und uns stattdessen verpflichtet haben, jüdisches Leben in allen Winkeln dieser immer komplizierter werdenden Welt zu schützen. Einer Verpflichtung der wir als deutsche Christdemokarten auch künftig uneingeschränkt nachkommen werden.

Für diese Verpflichtung tragen wir weiter Verantwortung. Eine Verantwortung, der wir uns täglich stellen müssen. Und niemals entziehen dürfen. Zu den Tiefpunkten dieses Parlaments gehören für mich, folgerichtig, diejenigen Debatten, in denen sich Teile des Parlaments der Verantwortung entziehen wollen.

Ich denke – das sei hier offen angesprochen – insbesondere an die immer wiederkehrenden Szenen, in denen sich Vertreter einer bestimmten Partei nicht verantwortlich fühlen, für das, was andere Vertreter dieser Gruppierung an anderer Stelle gesagt haben. Statt Übernahme von Verantwortung folgt dann stets der Hinweis auf die eigene ganz persönliche Integrität. Eine Integrität, die ich den Betroffenen im Einzelfall gar nicht immer absprechen will. Aber dieser Hinweis auf die eigene Integrität ist nicht ausreichend.

Wer einer bestimmten Partei beitritt, trägt Verantwortung für die Summe dessen, was im Namen dieser Partei verbreitet wird. Und wenn Grenzen überschritten werden heißt es, die eigene Grenze zu definieren. Und gegebenenfalls persönliche Konsequenzen zu ziehen. Verantwortung ist auch das Resultat eines besonderen Pflichtgefühls. Es ist auffällig, dass es gerade denen, die den Wert der Pflichterfüllung als besonders deutsche Tugend so gern betonen, erkennbar schwerfällt, ihrer Verantwortung nachzukommen. Die Ereignisse in Halle machen uns betroffen. Sie machen auch wütend. In erster Linie natürlich deshalb, weil gänzlich unbeteiligte und unschuldige Menschen Opfer eines verblendeten Rassisten werden sollten bzw. Opfer geworden sind. Sie machen wütend, weil man nicht weiß, wie man auf diese Form der Perversion reagieren soll. Aber sie machen auch wütend, weil wir für diese Ereignisse Verantwortung tragen müssen.

Dieser Angriff auf eine jüdische Synagoge und zwei zufällig den Weg des Attentäters kreuzende Passanten war auch ein Angriff auf unsere deutsche Gemeinschaft, auf die Gemeinschaft der in Deutschland lebenden Menschen. Er war ein Angriff gegen unsere Form des Zusammenlebens, unsere Art, politische Auseinandersetzungen auszutragen, unseren Weg, Verantwortung für unsere teils schwierige deutsche Geschichte zu tragen. Zu dieser Verantwortung gehört aber auch die Erkenntnis, dass wir ihr offensichtlich nicht gerecht geworden sind. Eine schmerzhafte, unbequeme Erkenntnis. Ja, gewisse politische Bewegungen haben zu den Ereignissen beigetragen. Aber es wäre falsch und all zu einfach, den Vorgang mit diesem Hinweis zu erklären. Wir müssen uns fragen, ob das bisherige Bemühen ausreicht, der Verantwortung gerecht zu werden. Manch eine Reaktion erfolgte vielleicht zu reflexartig, zu automatisch, um diejenigen, die wir erreichen wollen, tatsächlich zu beeindrucken.

Die Häme mancher über Lichterketten vor Moscheen und Synagogen kam ja nicht von ungefähr. Sie ist wohl auch Ausdruck einer als Hilflosigkeit wahrgenommenen Politik. Eine Politik, die möglicherweise von der Last der Verantwortung erdrückt nicht mehr in der Lage ist, Dinge zu erklären. Oder glaubt, dass die Verantwortung so schwer wiegt, dass man manches als selbstverständlich gar nicht mehr erklären muss. Es ist erst wenige Wochen her, dass ich Ende September mit Michael Fürst als Vorsitzenden des Landesverbandes der jüdischen Gemeinden von Niedersachsen und Katharina Seidler als Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinden von Niedersachen zusammengesessen habe. Genau zwei Wochen vor den Ereignissen von Halle sprachen wir auch über Antisemitismus in unserer Gesellschaft. Mit unterschiedlichen Ansätzen. Es war Frau Seidler, die mir über Vorfälle berichtet hat, die unsere jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger erleben, wenn sie ihre Synagoge für die Besichtigung nichtjüdischer Mitbürgerinnen und Mitbürger, insbesondere Schulklassen öffnen.

Bemerkungen junger Menschen, die deutlich machen, dass das, was viele von uns bereits als überwunden glaubten, noch allgegenwärtig ist. Oder schlimmer noch: Dass all dies zurückzukehren droht. Wenn dem so ist, liebe Frau Seidler, dann ist es leider so, dass auch ich meiner Verantwortung als Deutscher und als Politiker nicht gerecht geworden bin. Das Gefühl des Stolzes, das man im Rahmen der Vergangenheitsbewältigung so gerne spüren will, weicht dann einer ganz anderen Empfindung, dem Gefühl der Scham. Und der Erkenntnis des eigenen Versagens.

Wir sprachen an diesem 25. September auch darüber, was wir nun tun können. Außerhalb dessen, was wir ohnehin und immer wieder tun. Über das hinaus, was die Feinde dieser Gesellschaft mit Spott und Häme kommentieren. Nun, wir werden zunächst das tun, was zur Verteidigung eines jeden Mitbürgers getan werden muss: Wir werden den persönlichen Schutz unserer jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger in besonderer Weise sicherstellen. Wir werden zusätzliche Mittel für die Arbeit der jüdischen Gemeinden bereitstellen, für die Verbesserung der selbst organisierten Sicherheit und ebenso für den polizeilichen Schutz Sorge tragen. Aber wir müssen darüber hinaus mehr tun.

Wir müssen einem gesellschaftlichen Klima entgegenwirken, welches Vorfälle wie die in Halle überhaupt erst ermöglich hat. Wir müssen einem Klima entgegentreten, in dem Hass und Intoleranz begünstigt werden. Wir müssen uns mit der Geschichtsvergessenheit vieler auseinandersetzen. Und wir müssen diejenigen stellen, die mit ihrer Sprache und Verrohung den Nährboden für diejenigen bereiten, die den Worten Taten folgen lassen. Aber wir müssen auch etwas anderes beachten: In unserem Gespräch waren Sie es, lieber Herr Fürst, der die Frage gestellt hat, wie weit die Aufrüstung zum Schutz jüdischer Einrichtungen gehen soll. – Zu recht! – Jüdisches Leben ist Teil dieser Gesellschaft.

Und wir alle wollten nie wieder erleben, dass dieses jüdische Leben fern von uns anderen hinter Mauern und Panzerglas stattfindet. Der Gedanke spielender jüdischer Kinder hinter einem Stacheldrahtzaun muss für jeden von uns unerträglich sein. Jüdisches Leben und jüdische Kultur gehören in die Mitte unserer Gesellschaft. Als Teil unserer Kultur und unseres Miteinanders. Auch dies ist Teil unserer Verantwortung. Die Tür, welche die Menschen in der Synagoge in Halle gerettet hat, soll nun ein Ort des Gedenkens werden. Wir werden auch künftig noch besser dafür Sorge tragen, dass unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger durch solche starken Türen geschützt werden. Aber wir werden auch dazu beitragen, dass diese Türen möglichst bald wieder offen stehen.

veröffentlicht am 23.Okt.2019