Rede des Vorsitzenden der CDU-Landtagsfraktion, Dirk Toepffer, zu TOP 2 „Unterrichtung durch den Ministerpräsidenten über die Ergebnisse der Videokonferenz der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder am 10.02.2021 und Umsetzung in Niedersachsen“

– Es gilt das gesprochene Wort. –

Sehr geehrte Frau Präsidentin,

sehr geehrte Damen und Herren,

Herr Ministerpräsident, seitens der CDU-Fraktion danke ich für eine erneute Unterrichtung über die Ergebnisse einer weiteren MPK zur Corona-Lage. Offen gesagt habe ich mich nach der Ankündigung dieser Unterrichtung gefragt, worüber Sie wohl tatsächlich reden würden. Denn viel ist auf dieser MPK ja nicht beschlossen worden.

Der Lockdown wird bis zum 7. März verlängert. Damit hat ganz Deutschland gerechnet. Die Frisöre öffnen zum 1. März. Diese Öffnung wurde von vielen erwartet. In Sachen Schule herrscht weiter der Primat des Föderalismus. Also für uns nichts Neues. Und auf die Entwicklung eines Stufenplans zur weiteren Handhabung von Kontaktbeschränkungen konnte man sich nicht einigen. Eigentlich wenig Stoff für eine Unterrichtung.

Aber natürlich gibt es außerhalb dieser MPK vieles, über das man zum Thema Corona reden kann. So in der Tat das Thema Impfen, über das Sie ja sehr ausführlich gesprochen haben. Und ich bin Ihnen an dieser Stelle ausdrücklich dankbar, dass Sie in diesem Bereich organisatorische Mängel eingeräumt haben. Sie haben recht: Man darf diese Mängel nicht beschönigen.

Wir sollten uns an diesen Mängeln aber nicht allzu lange aufhalten. Zunächst sind die Fehler in der Startphase weitgehend abgearbeitet worden. Viele dieser Fehler waren vielleicht vermeidbar. Aber meine Fraktion hat die sichere Erwartung, dass es künftig besser geht. Insoweit vertrauen wir weiter auf unsere Gesundheitsministerin Carola Reimann und ihren Staatssekretär.

Frau Ministerin, wir haben allerdings für die kommenden Wochen eine ganz ausdrückliche Bitte: Nutzen Sie noch stärker Sachverstand und Erfahrung unserer Kommunen. Diese leisten bei der Bekämpfung der Pandemie schon jetzt unglaubliche Arbeit. Aber sie können noch weit mehr, als ihnen bisher abverlangt wird. Die Pandemie werden wir nur Hand in Hand mit der kommunalen Familie in den Griff bekommen.

Frau Ministerin, wir wissen auch, wie groß die Aufgabe ist, der Sie sich stellen müssen. Etwas Ähnliches ist noch keiner Ihrer Vorgängerinnen und keinem Ihrer Vorgänger abverlangt worden. Das gilt im Übrigen auch für den Bundesgesundheitsminister. Dass manches Gutgemeinte schief geht, sollte da nicht überraschen. Und konstruktive Kritik daher auch als solche begriffen werden. Wir werden uns als CDU-Fraktion bemühen, in diesem Sinne konstruktiv zur Bewältigung der Aufgaben Ihres Hauses beizutragen.

Im Übrigen gilt: Das größte Problem ist und bleibt die verzögerte Lieferung von Impfstoff. Diese Entwicklung selbst können wir kaum beeinflussen. Aber mit den Folgen dieser Entwicklung sollten wir uns beschäftigen.

Zunächst sollten wir den Menschen sagen, dass sie noch sehr lange mit dem Virus und seinen Mutationen leben müssen. Vielleicht auf Jahre hinaus.

Und deshalb müssten wir uns auch vielmehr mit der Frage auseinandersetzen, wie man mit einer solchen permanenten Pandemie leben kann. Ich bin da selbst noch einigermaßen ratlos. Aber in einem Punkt hat die Diskussion bereits begonnen. Und in diesem Punkt droht uns die Entwicklung außerhalb des Parlaments schon wieder einmal zu überholen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich wage hier eine Prognose: Wir werden den Punkt erreichen, an dem die Politik entscheiden muss, wie wir es mit den Geimpften halten wollen. Spätestens dann, wenn feststeht, dass die Geimpften das Virus nicht mehr weitertragen. Unterstellt, dass wir noch Monate, vielleicht Jahre mit Kontaktbeschränkungen leben müssen, werden wir uns mit der Frage beschäftigen müssen, ob wir Menschen, die bereits geimpft worden sind und solche, die noch nicht geimpft worden sind, unterschiedlich behandeln wollen.

Der Ethikrat hat diese Frage recht elegant umschifft. Indem er eine solch unterschiedliche Behandlung ablehnt, solange nicht sicher ist, dass die Geimpften das Virus nicht weitertragen. Nun, ich glaube, der Druck wird zunehmen, noch bevor wir dieses Stadium erreichen. Die Masse der 80-Jährigen wird sicher nicht, sobald sie denn geimpft worden ist, sofort die Frage stellen, wann der nächste Urlaub und ein Restaurantbesuch wieder möglich sind. Schon bei den 60-Jährigen wird dies anders aussehen.

Und nicht nur Gastronomen und Reiseveranstalter werden fragen, warum sie nicht wenigstens mit dieser Gruppe von Menschen die Geschäfte wieder aufnehmen können. International werden bereits entsprechende Reiseabkommen, beispielsweise zwischen Israel und Griechenland, vorbereitet. Wir werden dieser Diskussion nicht ausweichen können.

Ich persönlich habe ein Problem mit einer solchen Bevorzugung. Oder Differenzierung. Wie auch immer. Man hat ein schlechtes Gefühl, wenn man überlegt, ob bestimmte Rechte an den Gesundheitszustand eines Menschen geknüpft werden können.

Andererseits stellt sich die Frage, ob Solidarität in einer Gesellschaft nicht auch bedeutet, dass diejenigen Menschen, die noch nicht geimpft worden sind, die „Bevorzugung“ der bereits Geimpften akzeptieren müssen, weil es für die Gesamtgesellschaft von Vorteil ist. Denn eines ist klar: Dauerhaft werden wir einen Lockdown für alle weder gesellschaftlich noch wirtschaftlich überleben. Wir werden lernen müssen, mit dem Virus zu leben. Und beispielsweise auch Urlaubsreisen in Zeiten der Pandemie zu ermöglichen. Wie auch das übrige Leben.

Deshalb müssen wir auch weiter über den niedersächsischen Stufenplan reden. Diesbezüglich war ich voller Hoffnung, dass wir hier mit allen Fraktionen gemeinsam einen solchen Plan entwickeln könnten. Ich war dieser Hoffnung. Viel zu unterschiedlich sind die Vorstellungen. Offensichtlich auch in der Opposition.

Der Kollege Birkner verlangt in einer Pressemitteilung eine „konkrete Perspektive, wie es für einen Großteil der Gesellschaft und der Wirtschaft weitergehen soll“. Wobei sich die Frage aufdrängt, warum diese Perspektive eben nur einem Großteil statt der ganzen Gesellschaft geboten werden soll. Die Kollegin Hamburg hat einen Tag nach dieser Presseerklärung immerhin formuliert, es müsse das Ziel sein, „alle im Blick zu haben“.

Ich finde das deshalb so bemerkenswert, weil Sie sich ja in der nächsten Woche in einer Anhörung gemeinsam auf den Weg machen wollen, um an den Details des von Ihnen seit langem geforderten Stufenplans zu arbeiten. Das ist ein achtbares Anliegen. Aber zuvor sollten Sie sich unbedingt verständigen, wen man mit diesem Stufenplan denn nun erreichen will: Alle oder aber doch nur den Großteil der Gesellschaft.

Falls es bei Ihrem Abstimmungsprozess weiterhilft, kann ich für die Koalitionsparteien folgendes erklären: Wir fühlen uns den Interessen des ganzen Landes verpflichtet. Und zwar ohne jede Ausnahme!

Was uns wie der Landesregierung aber tatsächlich schwer fällt, ist die von Ihnen geforderte „konkrete Perspektive“. Ich sage es hier in aller Deutlichkeit: Wer in dieser Pandemie als Politiker behauptet, er könne den Menschen eine „konkrete Perspektive“ aufzeigen, der sagt schlicht die Unwahrheit.

Der streut den Menschen Sand in die Augen und trägt damit langfristig zum Ansehensverlust der Politik bei. Denn Politik muss vor allem eines leisten: Sie muss ehrlich bleiben! Und zur Ehrlichkeit gehört nun einmal folgendes: Niemand weiß, wie sich diese Pandemie entwickeln wird.

Und deshalb ist der von der Landesregierung vorgelegte Entwurf eines Stufenplans auch kein Perspektivplan. Eine Zukunftsaussicht kann er nicht in Aussicht stellen. Zumal keine „konkrete“ Zukunftsaussicht. Dieser Plan ist lediglich eine Art Beschreibung, welche Reaktionen die Regierung in einer bestimmten Pandemielage für geboten hält. Die Pandemielage selbst kann aber nicht vorhergesagt werden. Weshalb die Zukunftsaussicht weiterhin vage bleibt.

Dennoch war es richtig, diesen Stufenplan zu entwickeln. Weil er in der Zeit des Unvorhersehbaren immerhin etwas Verlässlichkeit verspricht. Weil er den Menschen zeigt, was sie in unterschiedlichen Pandemielagen zu erwarten haben. Und deswegen ist es auch richtig, dass man über diese Handlungsmöglichkeiten der Politik debattiert.

Gleichwohl wird diese Debatte ein schwieriges Vorhaben. Weil man sich nämlich auf eine bestimmte Auswahl innerhalb der Handlungsmöglichkeiten wird einigen müssen. Der von FDP und Grünen geforderten gesamtgesellschaftlichen Debatte sehe ich da mit Interesse entgegen. Nicht an der Debatte selbst, sondern am Ergebnis dieser Debatte werden wir Sie messen.

Es ist ja relativ einfach, alle von der Pandemie betroffenen Gruppen und Verbände zu einem Stufenplan zu befragen. Die Herausforderung besteht aber darin, aus all den Stellungnahmen, die Sie im Rahmen Ihrer Anhörung erhalten werden, einen Stufenplan zu entwickeln, der von allen Gruppen und Verbänden mitgetragen wird. Und da beginnen vermutlich die Probleme!

Der gesamte Stufenplan ist ja nichts anderes als eine Beschreibung von Kontakteinschränkungen. Es gibt da verschiedene Parameter wie die Inzidenzzahl oder die Reproduktionszahl, die das mögliche Infektionsgeschehen beschreiben. Und auf der anderen Seite die Auskunft, welche Kontaktmöglichkeiten eingeschränkt werden, wenn ein bestimmter Vorgabewert oder Parameter erreicht wird. Das ist insoweit ganz einfach. Die Schwierigkeit liegt in dem Wörtchen „Stufe“. Weil aus diesem Wörtchen „Stufe“ deutlich wird, dass nicht alle Kontakte zugleich eingeschränkt oder aber ermöglicht werden sollen.

Die Diskussion, ob nun die Inzidenzzahl 35 oder 50 der richtige Vorgabewert oder Parameter sein soll, ist daher vordergründig. Entscheidend ist die Frage, wie viele Kontaktmöglichkeiten bei Erreichen eines solchen Zielwertes zugelassen werden sollen.

Egal ob 35 oder 50: Derzeit gibt es eine allgemein verbreitete Erwartung, die man vielleicht wie folgt beschreiben kann: Mit Erreichen der 50 oder 35 ist das Schlimmste vorbei. Und wir können fast alle Kontakte wieder zulassen. Es öffnen der Handel, die Gastronomie, die Fitnessstudios und wer immer noch unter den Kontakteinschränkungen leidet. Sie werden in Ihrer Anhörung feststellen: Jeder will dabei sein. Jeder wird darauf hinweisen, dass in seinem Bereich keine Ansteckungen stattgefunden haben bzw. stattfinden werden. Jeder wird auf ein überzeugendes Hygienekonzept verweisen.

In dieser Situation bin ich gespannt, ob Sie den Mut und die Kraft aufbringen werden, all das, was Sie in Ihrer Anhörung erfahren werden, auch zu bewerten. Und in einen Stufenplan einzuordnen. Und ich bin weiter gespannt, wie Ihr alternativer Stufenplan aussehen wird.

Verstehen Sie mich nicht falsch: Es ist gut, eine solche Anhörung durchzuführen. Aber Sie werden wohl feststellen, dass es Ihnen kaum gelingen wird, all die Erwartungen, die Sie da gemeinsam wecken, auch zu erfüllen. Jedenfalls dann nicht, wenn Sie einigermaßen seriös vorgehen wollen. Der Anspruch aller Gruppen und Verbände wird sein, bei Erreichen einer bestimmten Inzidenzzahl Lockerungen in allen Bereichen zuzulassen. Als ob man quasi einen Schalter umlegt und das Licht erstrahlt. Wenn Sie aber dem Anspruch auf Seriosität gerecht werden wollen, müssen Sie die Kontaktmöglichkeiten nach und nach erhöhen. Als ob Sie einen Dimmer betätigen.

Mit dem Stufenplan der Regierung wird ein solcher Versuch unternommen. Dieser Plan befindet sich im Entwurfsstadium. Und unabhängig davon, wo dieser Plan final beschlossen wird: Wir können auf ihn Einfluss nehmen.

Vielleicht gelingt es ja auch tatsächlich, Änderungswünsche an die Regierung im Konsens zu formulieren. Ich bin sicher, dass sich dieses Kabinett einem solchen Änderungswunsch nicht widersetzen wird, wenn er hier von allen im Haus vertretenen Fraktionen unterstützt wird.

Die Chancen einer solchen fraktionsübergreifenden Einigung halte ich aber wirklich für gering. Weil Sie sich vermutlich nicht einmal untereinander einig werden. Ganz abgesehen davon, wen Sie mit Ihren Überlegungen erreichen wollen. Also „alle im Blick“ oder den Großteil der Gesellschaft: Die Vorstellungen von FDP und Grünen gehen ja in Sachen Corona völlig auseinander. Jedenfalls dann, wenn man Ihre Anhängerschaft fragt.

78 % der FDP-Wähler glauben, dass die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Corona-Maßnahmen schwerwiegender sind als die gesundheitlichen Folgen für die Bevölkerung. Bei den Grünen sind es hingegen nur 25 %. So eine Forsa-Umfrage vom 11. Februar dieses Jahres.

Der Kollege Birkner hat es da einfacher als die Kollegin Hamburg. Seine Zielgruppe ist wohl mehrheitlich gegen fast jede Form von Kontaktbeschränkungen. Sie, Frau Hamburg, müssen einen Plan entwickeln, der weiter eine Vielzahl von Beschränkungen vorsieht, aber alle „im Blick hat“.

Vielleicht fragen Sie ja einmal im Rahmen Ihrer Anhörung nicht nur nach den Lockerungswünschen für die jeweils eigene Gruppe. Sondern auch danach, in welchen Bereichen die Anzuhörenden überhaupt Einschränkungen für richtig halten. Ich fürchte, Sie werden da kaum eine Antwort erhalten.

Und dann sind da noch Ihre jeweiligen Entschließungsanträge. Ich stelle zunächst fest: Auf den ersten Blick ist da eine Menge Substanz und Fleißarbeit. Aber auf den zweiten Blick?

Sie, Frau Hamburg, blenden in Ihrem Antrag die vom Virus ausgehende Gefahr, insbesondere von Mutationen, weitgehend aus. Mithilfe des eingängigen Slogans „Draußen ist das neue Drinnen“ wird suggeriert, dass ein normales Leben auch in der Pandemie problemlos möglich ist. Solange man nur an der frischen Luft bleibt. Wie fürchterlich naiv!

Das Wort „Hygiene“ wird nur ein einziges Mal im Kontext von Musikschulen erwähnt. Entsprechende Gefahrenabwehrkonzepte werden von Veranstaltern nicht eingefordert. Weder drinnen noch draußen. Und die Formulierung „alternative Veranstaltungskonzepte“ ist derart schwammig formuliert, dass man den Eindruck gewinnt, sie wollen bloß keine konkreten Auflagen formulieren, um keinem Betroffenen die bittere Wahrheit zu sagen.

Ihr Antrag ist ein reiner Öffnungsplan. Über mögliche Gefahren schweigt er sich aus. Es ist zu einfach, Kontaktbeschränkungen der Regierung zu überlassen und sich selbst als Experten für Öffnungskonzepte aufzuspielen.

Und schlimmer noch die FDP. Sie fordern doch tatsächlich, die im Privatbereich geltenden Kontaktbeschränkungen ersatzlos zu streichen und wieder mit freundlichen Appellen zu arbeiten. Weil das dem „sozialen Frieden dienen“ würde. Welch‘ Wahnsinn! Wir wissen doch alle, dass es – abgesehen von bestimmten Hotspots – private Räume sind, in denen die Ansteckung noch immer stattfindet.

Und wir lesen täglich davon, dass es noch immer Menschen gibt, die die Kontaktregeln in diesen Räumen überhaupt nicht ernst nehmen und so zur Verbreitung des Virus beitragen.

Sie wollen den „sozialen Frieden“ retten? Was Sie vorhaben ist dieses: Sie wollen dazu beitragen, dass alle Opfer, die diese Gesellschaft in den vergangenen 12 Monaten gebracht hat, völlig umsonst gewesen sind. Wir alle wollen, dass dieser Spuk nun endlich ein Ende nimmt. Dass die Zahlen sinken. Wir unsere Kinder wieder in die Schule schicken, unsere Freunde und Verwandten wieder besuchen können. Dass Geschäfte wieder geöffnet werden und wir auch wieder verreisen können.

Und alle Anstrengungen, dies zu erreichen, wollen Sie aufs Spiel setzen, weil Sie offensichtlich glauben, dass sich die Menschen im privaten Bereich anders verhalten als in der Öffentlichkeit? Weil Sie glauben, dass deshalb im privaten Bereich keine Ansteckung stattfinden kann?

Lieber Herr Birkner: Wir werden alles tun, dies zu verhindern!

veröffentlicht am 17.Feb.2021