Erwiderung des Vorsitzenden der CDU-Landtagsfraktion, Björn Thümler, auf die Regierungserklärung „Die Zukunft von Volkswagen sicherstellen“

– Es gilt das gesprochene Wort! –

I.

Schlechtes Timing oder düpiert der Vorstand die Mitglieder des VW-Aufsichtsrats? Um zehn Uhr hat VW-Markenchef Diess begonnen, die Öffentlichkeit über den Zukunftspakt zu unterrichten. Ein Affront gegen das Parlament oder Ausdruck dafür, dass Sie der Vorstand nicht ernstnimmt?

Die Zeit des Schönredens und Gesundbetens bei Volkswagen ist seit Freitag vorbei. Seit Freitag hat sich zur Gewissheit verdichtet, was viele Verantwortliche, auch der Ministerpräsident, viel zu lange nicht auszusprechen wagten: Die Folgen der Abgasaffäre zwingen Volkswagen zu einem radikalen Modernisierungsprogramm, das Volkswagen grundlegend verändern wird!

Herr Weil, noch Ende Januar haben Sie sich heftig gegen Spekulationen über einen Job-Abbau bei Volkswagen gewehrt. Sie empfahlen damals in einem Interview der Nordwest-Zeitung – Zitat: „Spekulationen über einen angeblichen Stellenabbau nicht zu hoch zu hängen. Da ist nichts dran.“

Wenige Monate später, am 13. April 2016, erklärten Sie in einer Unterrichtung hier im Niedersächsischen Landtag: „In den vergangenen Wochen sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Volkswagen durch eine Reihe von Meldungen verunsichert worden, ein massiver Arbeitsplatzabbau sei geplant. Demgegenüber hat der Vorsitzende des Vorstandes, Matthias Müller, wiederholt erklärt, die Arbeitsplätze der Stammbelegschaft seien gesichert. Dies deckt sich mit der Einschätzung der Landesregierung.“

Herr Weil, ist es wirklich eine neue Erkenntnis der letzten Monate, dass der Abgasskandal milliardenschwere Rückstellungen erfordert? Dass Volkswagen weitere, schwer kalkulierbare Prozessrisiken drohen? Dass die Kernmarke VW chronisch ertragsschwach ist? Am Ende hat sich das bewahrheitet, was VW-Markenvorstand Herbert Diess bereits im Frühjahr angedeutet hatte. Er ist dafür damals vom wirtschaftspolitischen Sprecher der SPD-Landtagsfraktion heftig angegangen worden. Und ich bin mir sicher, dass Herr Will dies nicht ohne Rückendeckung der beiden Vertreter der Landesregierung im Aufsichtsrat von Volkwagen getan hat.

Ich frage mich deshalb, Herr Weil und Herr Lies: Warum hat man den Betroffenen nicht frühzeitiger reinen Wein eingeschenkt? Die Verabredung, auf betriebsbedingte Kündigungen bis 2025 zu verzichten, ändert nichts daran: An den niedersächsischen VW-Standorte werden in den nächsten Jahren massiv Arbeitsplätze abgebaut. Jeder fünfte Arbeitnehmer verliert seinen Job. Und auch Ihnen, Herr Weil, muss doch klar sein, dass sich der Abbau von 23.000 Arbeitsplätzen in bestimmten Produktionsbereichen nicht mit dem angekündigten Aufwuchs von 9.000 Stellen im IT-Bereich verrechnen lässt!

Der Ministerpräsident hat seit Beginn der Abgasaffäre beständig den Eindruck vermittelt, dass er umfassend aufklären will. Ständig konnten wir aus dem Munde des Ministerpräsidenten hören, dass die Aufklärung der Abgasaffäre auf einem guten Weg sei. Warum aber erreichen uns dann noch immer Woche für Woche neue Hiobsbotschaften? Ich frage mich: Wo bleibt der unbedingte Aufklärungswille der Verantwortlichen, um das notwendige Vertrauen der treuen VW-Kunden und der eigenen Belegschaft zurückzugewinnen? Das Verhalten des Vorstandsvorsitzenden vom Wochenende ist sicherlich nicht dazu geeignet das Vertrauen zurückzugewinnen. Die Beschimpfung der Kunden bringt VW nicht voran. Aber es zeigt deutlich, wie blank die Nerven liegen.

Immerhin: Es gibt nun bei VW einen Plan, wie es weitergehen soll. Vorstand und Betriebsrat haben sich dabei eng miteinander abgestimmt. Allerdings hätte ich mir seitens des Vorstands am Freitag auch ein deutliches Signal des Verzichts gewünscht. Wer einen sozialverträglichen Stellenabbau vereinbart, der darf eben auch nicht vor den Boni für die Vorstandsetagen halt machen. Die Akzeptanz für die Umsetzung des Zukunftspakts bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Volkswagen wäre umso höher, wenn auch das Management ein Signal des Verzichts gesetzt hätte. Sie, Herr Weil, haben dazu in Ihrer heutigen Unterrichtung so gut wie gar nichts gesagt. Sie haben damit wieder einmal eine große Chance verpasst, ein deutliches Signal pro Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu senden. Sie wären doch gerne Genosse der Bosse, aber auch dafür reicht es nicht. Haben Sie das, was Sie im Frühjahr mit Blick auf die Begrenzung der Boni versprochen haben, inzwischen komplett vergessen?

III.

In der Unterrichtung des Ministerpräsidenten war häufig von Zukunftsperspektiven und Zukunftschancen die Rede. Ob das radikale Umsteuern von Volkswagen hin zu mehr Elektromobilität die niedersächsischen VW-Standorte am Ende wirklich stärkt, ist längst nicht ausgemacht.

Der Betriebsratschef von Daimler, Michael Brecht, hat im „manager magazin“ vom 18.11.2016 berechtigte Fragen gestellt, die in ähnlicher Weise auch für Volkswagen gelten – Zitat: „Der Übergang zur Elektromobilität gefährdet allein beim Autokonzern Daimler zehntausend Arbeitsplätze. Das sagte der Betriebsratsvorsitzende Michael Brecht dem manager magazin ‚Ohne Ausgleich bliebe von heute sieben Arbeitsplätzen in der Motoren- und Aggregatefertigung nur einer‘, sagte Brecht.“

Ähnliche Fragen dürften sich auch viele Betriebsräte bei Volkswagen stellen. Ist es wirklich klug, wenn der Vorstand von Volkswagen jetzt quasi alternativlos auf Elektromobilität setzt – ohne die Möglichkeiten von Übergangstechnologien wie Hybridmotoren, Plug-in-Hybriden, Brennstoffzellenantrieben oder auch hocheffiziente Verbrennungsmotoren, die mit klimafreundlichen Kraftstoffen betrieben werden, eingehender zu prüfen? Auch viele Experten haben daran ernsthafte Zweifel.

Es drängen sich eine ganze Reihe an Fragen auf, die uns beschäftigen und bei denen wir von der Landesregierung schon bald konkrete Lösungsvorschläge erwarten.

  1. Es ist derzeit völlig unklar, wie sich der Sparkurs auf die Zulieferer, also die Jobs, die auch mittelbar von VW abhängen, auswirkt. Es ist gut, wenn Herr Lies jetzt zu einem Zulieferergipfel einlädt. Das aber kann nur ein Anfang sein. Es bleibt die Frage, warum erst jetzt? Sie müssen alles dafür tun, dass der Zukunftspakt bei VW kein Vertrag zulasten Dritter, nämlich der VW-Zulieferer, wird.
  2. Wie wirkt sich der sozialverträgliche Stellenabbau auf die Ausbildungsplätze bei VW aus? Im letzten Jahr hat VW bundesweit rund 1.600 Ausbildungsplätze angeboten, darunter rund 260 duale Studienplätze. Zum Ausbildungsstart am 1. September 2016 stellte VW allein in Wolfsburg mehr als 600 Ausbildungsplätze zur Verfügung. Ich frage mich: Was ist hier in Zukunft zu erwarten?
    Klar ist doch: Wenn die Automobilindustrie in der Region Braunschwieg-Wolfsburg-Salzgitter wirklich vor einem ähnlichen Strukturwandel steht wie das Ruhrgebiet beim Steinkohlebergbau vor Jahrzehnten, dann erfordert das natürlich auch erhebliche eigene Anstrengungen seitens der Landesregierung. Müssen wir nicht jetzt schon über groß angelegte Qualifizierungsprogramme des Landes für Handwerk und Mittelstand in der Region nachdenken, um diesen Strukturwandel sozialverträglich zu gestalten?
  3. Der Großraum Braunschweig ist die Forschungsregion Nr. 1 in Europa. Gemessen an seiner Wirtschaftsleistung kann er auf den höchsten Anteil an Forschungs- und Entwicklungsausgaben verweisen. Wenn Volkswagen jetzt zusätzlich Tausende von IT-Spezialisten nach Wolfsburg locken will, dann stellt sich natürlich auch die Frage: In welcher Art und Weise werden die Hochschulen in Braunschweig, Wolfsburg und Salzgitter darauf vorbereitet? Was tut der Wirtschaftsminister dafür?

V.

Herr Weil, der Begriff „Zukunft“ kam in Ihrer Rede allein 15-mal vor. Wie diese Zukunft für die Beschäftigten von Volkswagen konkret aussehen könnte, und welche Maßnahmen zur Umsetzung notwendig sind, das konnten Sie nicht einmal im Ansatz skizzieren. Das, was Sie hier heute vorgetragen haben, ging nicht wesentlich über die Handelsblatt-Lektüre vom letzten Freitag hinaus. Eine einzige Enttäuschung!

Deshalb meine eindringliche Bitte, Herr Weil: Es ist an der Zeit, dass Sie die jetzt anstehenden Veränderungsprozesse bei Volkswagen endlich klar und deutlich benennen! Die Beschäftigten von Volkswagen und ihre Familien sind durch die abzeichnenden Veränderungen schon jetzt in hohem Maße verunsichert. Verunsicherung ist ein idealer Nährboden für Populismus. Dagegen hilft am Ende nur Klarheit und Wahrheit!

veröffentlicht am 22.Nov.2016